Der heutige Morgen begann mit einer Diskussion auf Twitter, die wieder einmal so prototypisch abgelaufen ist, dass ich noch was drüber schreiben muss.
Es begann damit, dass sich Hanno Settele über die Idee beschwerte, Frauenabteile in Zügen einzuführen. Die Diskussion betrifft Deutschland, und Herr Settele fährt offensichtlich nie mit dem Zug, sonst würde er wissen dass es solche Abteile in österreichischen Zügen schon (gefühlt seit immer) gibt.
Die Diskussion ist hier nachzulesen, und sie zeigt: Manche Männer haben es immer noch nicht kapiert. Sie haben offensichtlich – trotz #aufschrei – immer noch keine Vorstellung davon, wie alltäglich Belästigungen für Frauen sind. Wozu sie aber sehr wohl eine Vorstellung haben ist, wie frau damit umzugehen hat.
“Ist nicht so schwer”
Herr Settele meint, es sei nicht so schwer, belästigende Typen einfach per Polizei bei der nächsten Haltestelle abholen zu lassen.
Die allermeisten Formen von Belästigung sind nicht strafrechtlich relevant. Der Typ, der mich 3 Stunden lang anstarrt und mir nach jedem Sitzplatzwechsel nachkommt, obwohl ich sage, ich möchte das nicht, ich möchte allein sitzen. Der Typ, der sich neben mir einen runter holt während ich schlafe. Die betrunkenen Bundesheer-Abrüstler, die meinen es ist lustig wenn sie mich “Schatzi” nennen und mir – in der Ungehemmtheit der Gruppe – erklären, wer gerne mit mir “pudern” möchte. Die Festival-Besucher, die mich erkennen und mich trotz wiederholter Aufforderung mich in Ruhe zu lassen nicht von mir abrücken. Oder der Schaffner selbst, der zum 5. mal in mein Abteil kommt um mir zu sagen, was für ein fesches junges Mäderl ich nicht bin. Je länger ich darüber nachdenke, was mir alles im Zug schon passiert ist, umso mehr fällt mir ein. Es ist schlimm, aber es ist auch gleichzeitig erschreckend normal, nichts ungewohntes.
Und auch wenn es sich um womöglich strafrechtlich relevante Belästigungen handelt (zB masturbierende Männer) ist das überhaupt nicht so leicht. Erstens gibt es da immer die Diskussion zu den Beweisen, ohne weitere Zeug_innen fast unmöglich. Zweitens müsste ja nicht nur die Person, die ich per Polizei aus dem Zug holen ließe die Zugfahrt abbrechen, sondern auch ich. Anzeigenaufnahme, Diskussionen mit der Polizei, Tagesplan am Arsch.
Dazu sei auch noch erwähnt: Es ist gut und wichtig, dass wir im letzten Herbst den Paragraphen zu sexueller Belästigung ausgeweitet haben, und ich hoffe auch dass die Anzeigen steigen werden, auch wenn es mühsam ist.
„Im Zug samma überfordert?“
Herr Settele hat gute Tipps parat, wie mit Belästigung umzugehen sei. Er meint, frau solle nicht “kuschen”, und fragt sich warum wir Frauen uns zwar über die “Armlängen-Ansage” aufregen, aber im Zug überfordert sind. Dass ich nicht grad auf den Mund gefallen bin, dürfte wohl bekannt sein. Trotzdem ist es auch mir oft zu mühsam mich auf Diskussionen einzulassen, bei denen von vornherein klar ist dass sie nix bringen. Woher ich das weiß? Ich hab damit ein bisschen Erfahrung. Und was sollen Frauen tun, die zurückhaltend, wenig schlagfertig und möglicherweise unsicher sind? Die haben halt Pech gehabt?
Ganz grundsätzlich: Wie kann man(n) sich über etwas aufregen, das niemandem schadet, aber Frauen nutzt? Wie kommen wir Frauen dazu, uns ständig wehren zu müssen, uns ständig Raum erkämpfen zu müssen, uns mit Anzeigen, unsolidarischen Schaffnern und Polizist_innen herumschlagen zu müssen? Ja, oft tragen wir diese Kämpfe aus. Oft sind sie aussichtslos. Und oft fehlen einfach die Nerven und die Kraft dafür. Oder auch die Zeit. Und dann ist es gut wenn es ein Frauenabteil gibt in das wir uns zurückziehen können.
Nachtrag #imzugpassiert
Die Twitter-Diskussion hat sich stark weiterverbreitet und -entwickelt. Anna Lena Bankel hat den Hashtag #imzugpassiert gestartet, unter dem hunderte Frauen ihre Erlebnisse mit (sexuellen) Belästigungen in Zügen beschrieben. Berichterstattung im Spiegel, Tagesspiegel, Missy Magazine, aber auch in österreichischen Medien wie Der Standard oder Kurier haben berichtet.
Besonders hinweisen möchte ich auf den User-Kommentar von Anna Lena selbst, den findet ihr hier.