Kommentar: Sexismus – die unsichtbare Ordnung unserer Gesellschaft

In der Tiroler Tageszeitung vom 2.3.2019 ist ein Kommentar über Sexismus und Gesellschaft von mir erschienen. Den möchte ich euch natürlich nicht vorenthalten.

Sexismus – die unsichtbare Ordnung unserer Gesellschaft

Wir alle haben unsere Sexismen. Doch wie stellen wir uns diesem gesellschaftspolitischen Problem-und warum müssen wir den Sexismus bekämpfen? Einblick in die Alltagsrealitäten im Vorfeld des Weltfrauentages.

Sexismus hat viele verschiedene Gesichter. Mal kommt er als in Komplimenten versteckte Abwertung daher, mal als Witz, der eigentlich nicht lustig ist-mal als blanker Hass. Er versteckt sich in vermeintlich freundlich gemeinten Alltagsgesten, auf Gehaltszetteln und in der Verteilung der Hausarbeit. Er ist manchmal offensichtlich und manchmal unsichtbar. Aber er ist überall.

Unsere Gesellschaft ist in all ihren Teilbereichen-Schule, Arbeit, Haushalt, Beziehung, Freizeit, Kindererziehung, Politik und Medien-durchzogen von der Idee, dass Männer und Frauen nicht gleich sind und deshalb unterschiedliche Rollen und Aufgaben haben. Viele dieser Muster sind uns dank der Frauenbewegungen und viel feministischer Aufklärungsarbeit inzwischen bewusst: Wenn bei Podiumsdiskussionen keine einzige Frau eingeladen ist, ist das vielen Beteiligten peinlich. Es gibt einen Konsens darüber, dass Frauen gleiches Geld für gleiche Arbeit erhalten sollten und eine Diskussion über einen Rechtsanspruch auf den Papa-Monat. Auf der anderen Seite gibt es immer noch Männer, die stolz darauf sind, auch nach vielen Jahren im gemeinsamen Haushalt nicht zu wissen, wie die Kaffeemaschine eingeschaltet wird. Die sich selbst maximal ein paar Würstel zubereiten können und die Haushaltsgeräte oder eine Großpackung Waschmittel für ein tolles Geschenk für ihre Frauen halten. Aber ich wage zu behaupten sie werden weniger.

Feen und Abenteurer

Unsere Gesellschaft ist so von Geschlechternormen durchzogen, dass es nicht möglich ist, sich ihnen zu entziehen. Von Kind auf lernen Mädchen, dass sie mit Komplimenten belohnt werden, wenn sie lächeln und hübsch aussehen. Buben sollen keine Feiglinge sein und am Schulhof lieber zurückschlagen statt davonzulaufen, wenn es eine Auseinandersetzung gibt. Studien zum Verhalten von Eltern auf Spielplätzen zeigen: Kinder im gleichen Alter werden unterschiedlich behandelt. Während Buben unbehelligt klettern dürfen, postieren sich Eltern bei Mädchen am selben Klettergerät, um einen möglichen Fall aufzufangen. Dem Kind wird damit vermittelt, dass ihm noch nicht zugetraut wird, alleine klettern zu können und dass es beschützt werden muss-mit den entsprechenden Auswirkungen aufs Selbstbewusstsein. All das geschieht nicht aus böser Absicht, sondern meist unbewusst. Die gesellschaftliche Ordnung, wonach Frauen lieb und schön, Männer stark und hart im Nehmen sein sollen, wird besonders in der Werbung zelebriert. Die Kinderspielzeugläden sind in eine blaue und eine rosa Welt geteilt, mit Technik und Superhelden für die Buben, mit Barbies und Prinzessinnen für die Mädchen. Dieser Wahnsinn erreicht mittlerweile auch den Lebensmittelhandel, wenn sogar einfache Kekse in unterschiedlichen Packungen verkauft werden: rosa Fee für Mädchen, blauer Abenteurer für Buben. Besonders absurd wird es bei Hygieneprodukten, bei Wattepads und-stäbchen, die für Männer in eigenen, schwarzen Packungen zur Verfügung stehen.

Das Patriarchat ist schlecht für alle

Wenn wir über Sexismus diskutieren, haben wir oft die negativen Auswirkungen für Frauen im Blick: die niedrigeren Einkommen, die große Arbeitsbelastung durch die Verantwortung für Kinder, Angehörige und den Haushalt, finanzielle Abhängigkeiten, die drohende Altersarmut. Aber auch für Männer hat diese Gesellschaftsordnung zahlreiche negative Konsequenzen. Das nach wie vor gängige Idealbild vom harten Mann führt dazu, dass Männer seltener zum Arzt gehen, ungesünder leben, öfter Suizid als Frauen begehen und dass psychische Erkrankungen oft nicht erkannt oder behandelt werden. Zudem kann die Erwartungshaltung, die Existenz für eine Familie alleine sichern zu müssen, sehr belastend sein.

In manchen Fällen haben auch Männer mit sexistischer Diskriminierung zu kämpfen. Nehmen wir jene, die als Kindergartenpädagogen oder Volksschullehrer tätig sind. Die Arbeit mit kleinen Kindern, das ist nach wie vor Frauensache (und natürlich auch schlechter als andere vergleichbare Tätigkeiten bezahlt).Dabei ist nicht nur klar, dass Männer diese Jobs genauso gut machen können wie Frauen. Es ist sogar dringend notwendig, dass kleine Kinder auch männliche Bezugspersonen in unterschiedlichen Rollen haben. Den wenigen Männern in diesen Berufen wird aber von manchen Müttern großes Misstrauen entgegengebracht. Ihnen wird die Kompetenz abgesprochen oder sogar Pädophilie als Motivation für die Berufswahl unterstellt. Das zeigt, wie festgefahren die Vorstellungen über die Geschlechterrollen sind.

Der tägliche Umgang

Neben den großen strukturellen Fragen nach der Verteilung von Macht, Geld und Berufschancen, bei der Frauen viel schlechter aussteigen, gibt es aber auch viele kleinere-jene, die den täglichen Umgang miteinander betreffen. Nach den Diskussionen zu Alltagssexismus und #metoogeben sich manche Männer verunsichert. Wie geht man(n) angemessen mit Frauen um? Dabei ist es eigentlich gar nicht schwierig-die meisten Situationen lassen sich mit einer simplen Frage klären: Würde man(n) sich gegenüber einem Mann gleich verhalten?

Es ist sexistisch, ungefragt das Aussehen einer Frau zu kommentieren, mit der man in keiner Beziehung ist. Nicht nur, dass es inhaltlich komplett irrelevant ist: Es steht niemandem zu, ungefragt eine Meinung zu einem Frauenkörper abzugeben. Hier zeigt sich, was von Kind auf antrainiert wird-der Frauenkörper ist zum Kommentieren da, der Wert einer Frau bemisst sich vielfach an ihrem Äußeren. Solche Komplimente mögen oft nett gemeint sein-sie sind aber im Kern sexistisch und übergriffig.

Es ist sexistisch, wenn in Meetings immer dann, wenn eine Frau spricht, mehr getuschelt wird (auch schön zu beobachten im Landtag oder Nationalrat).Es ist sexistisch, wenn man einer Frau zwar in den Mantel helfen möchte, das, was sie inhaltlich zu sagen hat, aber nicht ernst nimmt. Es ist sexistisch, wenn bei einem jungen, erfolgreichen Mann davon ausgegangen wird, es läge an seiner Leistung, und man einer jungen, erfolgreichen Frau unterstellt, sie hätte sich hochgeschlafen.

Und es ist auch sexistisch, wenn Frauen den wenigen Männern am Spielplatz unterstellen, sie wüssten doch gar nicht, wie mit dem Baby richtig umzugehen wäre.

Kontern und dazulernen

Wir alle haben sexistische Denkmuster verinnerlicht. Auch ich ertappe mich manchmal bei einem sexistischen Gedanken, obwohl ich mich seit vielen Jahren mit diesem Thema beschäftige. Die zentrale Frage beim Sexismus ist nicht, ob wir uns manchmal sexistisch verhalten-das ist unvermeidlich. Die zentrale Frage ist, wie wir damit umgehen.

Wenn Frauen sexistisches Verhalten kritisieren, werden sie oft als humorlos und überempfindlich bezeichnet. Männer neigen dazu, die Kritik als Angriff zu verstehen, auf den mindestens eine Verteidigung, wenn nicht gleich ein Gegenangriff folgen muss. Ein besonders entlarvendes Beispiel für Abwehr von Kritik hat Georg Dornauer mit seiner Aussage geliefert, der Sexismus entstünde beim Empfänger. Es ist ein billiges Abwehrmanöver zu behaupten, das Problem liege nicht an ihm, sondern an der Betroffenen und den KritikerInnen, die ihn falsch verstanden hätten, er hätte seinen Spruch mit der Horizontalen ja nie so gemeint.

Wenn auf Sexismus hingewiesen wird, geht es aber nicht darum, ein (abschließendes) Urteil auszusprechen und den Sexisten als solchen abzustempeln, denn das bringt uns in der Sache nicht weiter. Wir kritisieren Sexismus, damit sich etwas verändert. Die Erfolge der Frauenbewegungen der letzten Jahrzehnte haben sich nicht eingestellt, weil Frauen geschwiegen oder höflich darum gebeten haben. Die Frauen waren laut, konsequent und manchmal auch unerbittlich-sie haben dem Spott getrotzt und ihre Rechte durchgesetzt. Auch am Alltagssexismus wird sich nichts ändern, wenn wir nur lieb reagieren. Ich habe keine Geduld mehr mit Männern, die zwar keine Sexisten sein wollen, wie sie betonen, die aber auch nicht bereit sind, ihr Verhalten zu überdenken. Statt sich wehleidig über Kritik zu beschweren, wäre es ja auch eine Möglichkeit, sich ihr einfach zu stellen. Eine Reaktion wie „so habe ich das noch nicht gesehen, ich werde darüber nachdenken“ brächte uns alle weiter.