Niemals vergessen

Diese Rede habe ich anlässlich der Gedenkveranstaltung zu den Novemberpogromen am 9. November 2014 am Platz der Opfer der Deportation am ehemaligen Bahnhof Aspang gehalten. Die ausgezeichnete Rede von Doron Rabinovici findet sich auf seiner Facebook-Seite.

Vor ein paar Wochen hat mein Kollege Albert Steinhauser mich gebeten statt ihm heute diese Rede zu halten. Ich habe sehr gerne zugesagt. Gleichzeitig habe ich sehr großen Respekt davor, hier zu sprechen. Die Unsicherheit ist groß. Was könnte ich denn sagen, im Gedenken an die Novemberpogrome? Zu den historischen Details der Pogrome, zu diesem Platz hier, zu den Deportationen, können andere wesentlich besser sprechen als ich. Also habe ich beschlossen, eine  Perspektive meiner Generation einzubringen.

Ich bin 29 Jahre alt und gehöre zu einer Generation, die der Konfrontation mit dem Nationalsozialismus, mit der österreichischen Geschichte, leichter entgehen kann, als alle Generationen davor. Die Konfrontation erfolgt nicht mehr zwangsläufig über familiäre Auseinandersetzungen. (Sofern sie in älteren Generationen tatsächlich stattgefunden haben und nicht totgeschwiegen wurden – sie wären jedenfalls leichter möglich gewesen). Die Zahl der Überlebenden, der Zeitzeug_innen, die vermitteln können und wollen, was geschehen ist, was ihnen geschehen ist, was sie selbst getan oder unterlassen haben, diese Zahl ist 70 Jahre nach der Befreiung bereits sehr klein geworden.

Zwei Jahre des Geschichtsunterrichts in meiner höheren Schule, einer HBLA für wirtschaftliche Berufe, waren der Hexenverbrennung gewidmet. Wir hätten zwar lernen sollen, wie viele Frauen der Bischof von Brixen in Südtirol foltern und verbrennen hat lassen. Von den Pogromen, vom systematischen, industrialisierten Massenmord der Nazis, der NS-Ideologie, haben wir in der Oberstufe aber nichts gelernt. Der einzige zeitgeschichtliche Unterricht, den ich gehabt habe, war im letzten Semester in der Hauptschule. In dieses Semester ist alles hineingepresst worden, was im 20. Jahrhundert passiert ist. Da ist dann auch auch die NS-Zeit vorgekommen. Inklusive einem unvermittelten Abstecher in das ehemalige Konzentrationslager Mauthausen auf dem Weg zur Wienwoche. Sie können sich vorstellen, wie unzureichend das war. Erst an der Uni habe ich begonnen, mich ernsthaft mit dem Nationalsozialismus zu beschäftigen.

Das klingt möglicherweise nach einer besonders unglücklichen Konstellation von schlechten Lehrer_innen und schlechten Lehrbüchern, mir wird versichert, in den Gymnasien wäre das besser, in der Stadt wärs besser als am Land, in Wien besser als in Tirol. Meine Erfahrungen mit gleichaltrigen und auch jüngeren Mitstudent_innen an der Uni legen allerdings nahe, dass es sich da nicht um das Schicksal einzelner Klassen handelt. Um das Wissen zum Nationalsozialismus ist es schlecht bestellt. Und sogar wenn das Wissen vorhanden ist, fehlt oft noch immer die Fähigkeit zur Einordnung, das Bewusstsein über die Ausmaße und Folgen des Terrors. Und vor allem dafür, welche Zäsur diese Barbarei für die Entwicklung einer Gesellschaft freier Menschen, für die Menschheit, für die Menschlichkeit bedeutet.

Mit der Feststellung, dass das ja alles schon lange vorbei ist wird auch oft in Frage gestellt, warum man sich denn immer noch so viel damit auseinandersetzen muss. Mit der unzureichenden Beschäftigung geht die schleichende Normalisierung rechter Positionen einher, und sie ist in Wahrheit schon weit fortgeschritten. Die Identitären, die Burschenschafter, die hetzenden Funktionär_innen der FPÖ sind laut und polternd, die Verschärfung autoritärer Einstellungen in der Bevölkerung vollzieht sich aber leise.

Ich möchte damit nicht sagen, dass die Beschäftigung mit dem Faschismus in älteren Generationen ausgeprägter, nachhaltiger oder erfolgreicher war. Aber ich möchte verdeutlichen, dass wir alles daran setzen müssen, die pädagogische Vermittlung in den Schulen, aber auch außerhalb zu intensivieren und zu verbessern.

Es soll nicht möglich sein, dass künftige Generationen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus entgehen können – und zwar unabhängig davon, welchen Bildungsweg sie einschlagen, ob sie im Laufe ihres Lebens eine Lehre absolvieren, oder ob sie an die Uni gehen.

Rechten und rechtsextremen Gruppierungen und Parteien entschlossen entgegenzutreten, ist im Kampf gegen den Faschismus unerlässlich. Es ist aber mindestens gleich wichtig dafür zu sorgen, dass die kommenden Generationen die Relevanz dieses Kampfes erkennen und ihn auch weiterführen können. Denn wenn der Faschismus nicht mehr erkannt wird, lässt er sich auch nicht mehr bekämpfen.

Das klingt jetzt möglicherweise pessimistisch, das ist es aber nicht. Zur Erinnerungsarbeit gehören gute Lehrpläne, gute Lehrer_innen, gute Bücher, aber auch Gedenkveranstaltungen wie die heutige – ich freue mich sehr dass sie so gut besucht ist. Und auch Denkmäler im öffentlichen Raum. Und da gelingt immer mehr. Dass vor zwei Wochen die Eröffnung des Deserteursdenkmals am Ballhausplatz stattgefunden hat, nach vielen vielen Jahren Kampf, ist ein wunderschöner Erfolg. Ich wünsche mir, dass es uns mit demselben Einsatz und Nachdruck auch hier gelingt – und das ist auch eine Aufgabe für uns Grüne in Wien – das Denkmalprojekt an diesem Platz voranzutreiben und bald zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.